In der Praxis haben es Zahnärzte immer wieder mit Angstpatienten zu tun. Für Kinder sind die ersten Erfahrungen beim Zahnarzt naturgemäß eine Herausforderung, doch auch viele Erwachsene sind betroffen. Die Beschwerden Ihrer Patienten reichen von leichter Anspannung bis hin zu echten Phobien.
Wer es versteht mit Angstpatienten richtig umzugehen, wird in ihnen langjährige Stamm-Patienten gewinnen. Ein Ruf als sensibler Zahnarzt, der auf seine Patienten eingeht und ihnen ihre Ängste nimmt, garantiert Weiterempfehlung.
Niccola Liedl, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, ist es ein großes Anliegen, dass „dieses Thema, dass Personen aber auch vor allem Kinder in ihren Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen ernst genommen werden, immer mehr an Bedeutung gewinnt.“
Zahnarzt und Angstpatienten - Was kann ich tun?
Was Sie als Zahnarzt und Ihr Team tun können, damit sich Angstpatienten während der Behandlung wohler fühlen, hat uns die Expertin im Interview verraten.
Wie entsteht Angst?
Wenn ein Individuum mit einer bestimmten Situation konfrontiert wird, löst das beim Einzelnen Stress aus. Der Körper kommt in eine sogenannte Fight-Flight-Reaktion, das bedeutet so viel wie Kampf- oder Flucht-Reaktion.
In diesen beiden Szenarien der Reaktionen schüttet der Körper eine erhebliche Menge des Stresshormons Adrenalin aus. Im selben Moment werden Atem sowie Puls schneller und die Muskeln angespannt.
Wenn der Körper also eine große Menge an Adrenalin erzeugt, dann verspürt man Angst. Diese Emotion vergeht aber meist ganz schnell wieder, wenn der Betroffene merkt, er ist wieder in Sicherheit und kann sich entspannen.
Solange diese Momente vereinzelt auftreten, spricht man von „normaler Angst“. Wird dieser Zustand allerdings zum ständigen Begleiter, kann es in Richtung einer Angststörung deuten.
Was ist der Unterschied zwischen „normaler" Angst und echter Phobie?
Der Unterschied zwischen Angst und Phobie kann wie folgt erklärt werden: Angst ist eine Grundemotion. Oft kennt man bei einer Angst auch nicht die genaue Herkunft derselben bzw. oft ist auch das plötzliche Verschwinden unklar.
Eine Angst hat sicher jeder schon einmal gespürt und vielleicht war diese auch ganz schnell wieder weg.
Bei einer Phobie handelt es sich um eine Angststörung. Die Furcht ist bewusst und kommt in bestimmten Alltagssituationen zum Vorschein, meist gibt es gar keinen offensichtlichen Grund. Die Reaktion kann allerdings nicht kontrolliert werden und kommt oft in einem überdurchschnittlichen Ausmaß zum Tragen.
Eine Angst wird erst dann zur Angststörung, wenn sie Betroffene im Alltag einschränkt. Es kommt oft zu körperlichen Symptomen wie Schwitzen, Zittern, Unwohlsein, Herzrasen oder Ekel.
Die betroffenen Personen eignen sich dann oft ein Vermeidungsverhalten an. Dies bedeutet soviel wie, dass sie an bestimmten Situationen nicht mehr teilnehmen. In diesem Fall würde das bedeuten nicht mehr zum Zahnarzt zu gehen, was auf Dauer sicher keine Lösung ist.
Laut einer Umfrage haben 12 Prozent der Erwachsenen Angst vor dem Zahnarzt. Was könnte Auslöser für die Angst vor dem Zahnarzt sein?
Meiner Ansicht nach kann dies ganz unterschiedlich sein. Ein großes Thema ist sicher die Kontrollabgabe, die beim Zahnarzt stattfindet. Immerhin setzt man sich dort auf den Zahnarztstuhl und weiß in vielen Fällen gar nicht, was passiert.
Hier komme ich gleich zum nächsten Punkt. Es ist für viele Menschen schwer vorstellbar oder nachvollziehbar, was da genau passiert. Hier liegt das Problem oftmals bei fehlender Aufklärung.
Ein weiterer Punkt ist auch dieses gesellschaftlich erschaffene Bild von einem Zahnarztbesuch. Im Sinne von (gesellschaftlich gesehen) es passiert dort immer etwas – es wird automatisch mit Schmerz verbunden. Es geht kaum in die Köpfe der Menschen, dass es auch Zahnarztbesuche gibt, bei denen nichts passiert.
Ein weiterer Punkt fällt mir dazu ein: Man muss sich (generell), aber vor allem auch beim Zahnarzt auf jenes Verlassen, was dieser sagt und was dieser für richtig hält. Oftmals fällt es Personen schwer, nahezu blind jemandem zu vertrauen, den man eigentlich gar nicht kennt.
Gerade für Kinder ist der Zahnarztbesuch (mit Röntgen & Co) oftmals eine große Herausforderung. Was können Eltern tun, um den Kindern die Angst vor dem Zahnarzt zu nehmen?
Vor allem bei Kindern ist es wichtig, sie ausreichend auf den ersten Zahnarztbesuch vorzubereite. Das erfolgt am besten spielerisch – sei es mit einem kindgerechten Sachbuch über den Zahnarztbesuch oder aber auch über Spielmaterialien. Wichtig ist dabei, Sachverhalte immer mit kindgerechten Begriffen zu erklären und beschreiben.
Es wird auch in Bildungseinrichtungen mittlerweile versucht, den Kindern spielerisch den Zahnarztbesuch bzw. auch das Zähneputzen schmackhaft zu machen.
Weiters ist es sicher von Vorteil, wenn Eltern einen Zahnarzt auswählen, den sie bereits kennen oder wenn sie jemanden kennen der diesen besucht. Denn man sollte vermeiden, dass der erste Zahnarztbesuch für Kinder unangenehm ist.
Mittlerweile gibt es zum Glück schon viele Kinderzahnärzte, die sich bei der Erstordination Zeit und Ruhe nehmen, um den Kindern auch alle Utensilien zu erklären bzw. an einem Modell zeigen.
Wichtig für Eltern ist es ebenso, die Sorgen oder Bedenken der Kinder ernst zu nehmen und dem Kind aufzeigen, dass es in seiner Sorge gehört wird. Dies schafft man gut durch Gespräche, vor allem wenn Eltern auch von sich erzählen, wie sie es selbst als Kind erlebt haben. Allerdings sollte diese Sorge auch keinen zu großen Raum bekommen. Man darf dem Kind schon auch aufzeigen, dass ja Mama oder Papa bei ihm sind und dass dieser gut auf das Kind achten wird.
Eltern sollten allerdings vermeiden, eine zu große „Show“ daraus zu machen. Sollte es bereits negative Vorerfahrungen geben, dann kann es für den neuen Zahnarzt wichtig sein, diese zu wissen. Es ist allerdings angeraten, diese Inhalte nicht neben dem Kind zu berichten.
Wichtig ist auf Ausdrücke wie: „Das ist doch gar nicht schlimm“ oder „Du brauchst keine Angst haben“ und ähnliche dieser Kategorie zu verzichten. Oft kommen Kinder dann erst auf die Idee, dass etwas schlimm sein könnte. Wichtig ist, positive Ausdrücke zu verwenden: „Da warst du aber jetzt mutig“.
Was können Zahnärzte und ihre Mitarbeiter tun, um den kleinen Patienten den Zahnarztbesuch so angenehm wie möglich zu machen?
Zeit, Ruhe und Geduld. Jedes Kind ist anders und braucht bei seinem Zahnarztbesuch etwas anderes. Dies gilt es vor der Behandlung zu klären. Ich denke da an so Punkte wie: Möchte man, dass man Schritt für Schritt während der Behandlung sprachlich erklärt bekommt, was passiert oder eben nicht.
Möchte man sich vielleicht zum Ankommen einen kurzen Moment unterhalten oder soll die Behandlung gleich beginnen? Sollen Mama oder Papa mitgehen oder möchte man alleine hineingehen? Sollen Mama oder Papa die Hand halten? Dies kann den Kindern große Sicherheit vermitteln, wenn sie dies selbst entscheiden dürfen.
Hier ist mein Tipp, einen Zahnarzt zu wählen, der auch ein dementsprechendes Angebot anbieten kann, bei Unsicherheiten lieber die Finger davon lassen.
Haben Sie Tipps für die Zahnärzte (sowie deren Mitarbeiter) im Umgang mit erwachsenen Angstpatienten?
Es ist eigentlich sehr ähnlich wie bei Kindern. Zu Beginn ist es wichtig, die Bedürfnislage zu erkennen und auch ernst zu nehmen. Eventuell gibt es negative Vorerfahrungen – es kann wichtig sein, diese zu erzählen, damit solche Situationen vermieden werden können.
Weiters ist es für die Mitarbeiter bzw. auch für den Zahnarzt sehr wichtig, sich darauf individuell einlassen zu können, wie vorhin schon geschrieben: Jeder benötigt etwas anderes und für jeden ist etwas anderes wichtig. Der eine möchte vielleicht eine sehr genaue Erklärung, was passiert, der andere möchte es vielleicht gar nicht wissen.
Aber am wichtigsten ist es, jeden ernst zu nehmen und zumindest zu versuchen, die Bedürfnislage zu verstehen.
Haben Sie abschließende Tipps für Menschen, die Angst vor dem Zahnarzt haben?
Wichtig ist, sich einen Zahnarzt zu suchen, der sich dafür Zeit nimmt bzw. der auf Angstpatienten spezialisiert ist. Zum Glück werden diese immer mehr und es wird endlich begonnen, dass man Personen in ihrer Angst wahrnimmt und dass es auch in Ordnung ist, vor etwas Angst zu haben.
* Ausschließlich zum Zweck der leichteren Lesbarkeit wird auf diesem Blog das generische Maskulinum verwendet. Hiermit sprechen wir ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten ohne wertenden Unterschied an.