Warum Gewaltprävention auch für Zahnärzte wichtig ist

| Für Praxisstarter

Gewalt, der Umgang mit Gewaltopfern und Gewaltprävention sind Themen, die Ihnen als Zahnarzt vielleicht nicht als erstes in den Sinn kommen, wenn Sie an Ihren Beruf denken. Und dennoch sind Zahnärzte in der Ausübung ihres Berufes regelmäßig mit den Folgen gewaltbedingter Verletzungen konfrontiert.

Wir haben mit Dr. Christiane Stokreiter-Ebner, Fachärztin für Zahn,- Mund- und Kieferheilkunde und Referentin für Kieferorthopädie der Landeszahnärztekammer Wien sowie mit Dr. Noémi-Katalin Marković, MSc, Zahnärztin und Referentin für Gender, Soziales und Jungzahnärzt:innen der Landeszahnärztekammer Wien über dieses heikle, doch sehr wichtige Thema gesprochen. Worauf beim Umgang mit mutmaßlichen Gewaltopfern zu achten ist, welche rechtlichen Aspekte zu tragen kommen und wo Sie sich als Zahnarzt über das Thema informieren können, verraten sie im Interview.

Dr. Noémi-Katalin Marković und Dr. Christiane Stokreiter-Ebner im Interview

Warum ist das Thema Gewaltprävention auch für Zahnärzte von Bedeutung?

Stokreiter-Ebner und Marković: Oft sind Zahnärzte tatsächlich die ersten und eventuell einzigen sachverständigen Zeugen, die für diese Körperverletzung konsultiert werden. Verursacht werden diese Verletzungen häufig durch häusliche Gewalt. Erfahrungsgemäß begibt sich ein Großteil der Opfer direkt in ärztliche beziehungsweise zahnärztliche Behandlung, während die Anzeigenerstattung bei einer Strafverfolgungsbehörde häufig wesentlich später erfolgt. In diesem Fall kann man von den Justizorganen als sachverständiger Zeuge zu einem Strafprozess geladen werden. Daher müssen Befunde, die auf mögliche Gewalteinwirkung zurückzuführen sind, zeitnah, eindeutig und gerichtsverwertbar in Wort und Bild dokumentiert werden. Da die Spuren einer Gewalteinwirkung im Kopf- und Gesichtsbereich meist nur kurze Zeit in voller Ausprägung wahrnehmbar sind, kommt der Dokumentation im Fall einer späteren strafrechtlichen Verfolgung große Bedeutung zu. Neben der Schrift- und Fotodokumentation können auch Röntgenaufnahmen und Abdrücke empfehlenswert sein. Abgesehen von physischen Verletzungen ist auch eine psychische Gewaltanwendung oder Vernachlässigung zu dokumentieren.

Worauf sollten Zahnärzte bei der Befragung von mutmaßlichen Gewaltopfern achten?

Stokreiter-Ebner und Marković: In erster Linie ist Fingerspitzengefühl bei der Befragung potenzieller Gewaltopfer gefragt. Häufig empfinden Opfer es sogar als Erleichterung, wenn sie über das Erlebte sprechen können. Zahnärzte sollten sich – am besten in einem Vieraugen-Gespräch – den Hergang einer Verletzung detailliert schildern lassen. Auch Kinder sollten idealerweise direkt ohne Anwesenheit der Eltern befragt werden. Oft ist es nicht einfach, bei Kindern spielbedingte Verletzungen von Misshandlungen abzugrenzen. Schläge, die durch Gebrauch eines Stockes verursacht wurden, zeigen ein typisches Verletzungsmuster: Meistens sind Doppelstriemenbildungen mit doppelläufigen parallelen Blutergüssen und dazwischenliegender zentraler Hautabblassung in Stockbreite sichtbar. Auch Verletzungen im Mundbereich von Kleinkindern sind oftmals schwer zu erklären. So ist eine Einblutung im Bereich des Gaumens ein Grund misstrauisch zu werden. Schließlich ist der Gaumen nicht sturzexponiert, sodass Unfälle in der Regel auszuschließen sind und derartige Verletzungen auf eine andere Ursache hinweisen können, beispielsweise eine mutwillige Verletzung durch einen Löffel beim Füttern. Auffällige Hämatome sind jedenfalls zu dokumentieren. Die Interpretation, ob ein Sturz als Ursache wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, obliegt keinesfalls dem Untersucher, sondern erfolgt im anschließenden rechtsmedizinischen Gutachten.

Gibt es rechtliche Aspekte, die zu beachten sind?

Stokreiter-Ebner und Marković: Für alle Gesundheitsberufe – daher auch für Zahnärzte und zahnärztliche Assistenten – besteht u.a. bei Verdachtsfällen der Gewaltausübung unter bestimmten Voraussetzungen eine Anzeigepflicht. Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht kann für Angehörige mancher Gesundheitsberufe strafbar im Sinne einer Verwaltungsübertretung oder eines Disziplinarvergehens sein. Bei der Anzeigeregelung werden vom Gesetzgeber unterschiedliche Aspekte berücksichtigt. Einerseits besteht ein öffentliches Interesse daran, Straftaten zu verfolgen. Andererseits kann ein Strafverfahren für das Opfer sehr belastend sein. Die teilweise widersprüchlichen Aspekte lassen sich schwer unter einen Hut bringen. Die geltende Anzeigeregelung sieht eine Anzeigepflicht in bestimmten Fällen vor, von der es Ausnahmen mit Gegenausnahmen gibt. Dies kann die Entscheidung, ob angezeigt werden muss oder nicht, im Einzelfall sehr schwierig machen. Abgesehen davon ist nicht ganz klar, ob bei Vorliegen einer Ausnahme im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht nicht nur nicht angezeigt werden muss, sondern sogar nicht angezeigt werden darf.

Gibt es Tipps, unterstützendes Material oder Kontakte, auf die Zahnärzte bei Gewaltdokumentation bzw. vermuteten Gewaltopfern zurückgreifen können?

Stokreiter-Ebner und Marković: Die Kollegen sollten jedenfalls darauf achten, dass für eine gerichtsfeste Fotodokumentation Verletzungen gemeinsam mit einem Maßstab fotografiert werden.  Sollte kein Lineal zur Verfügung stehen, sollte man sich eines alltäglichen Gegenstandes bedienen, der ebenfalls auf dem Foto sichtbar ist und der eine Rückrechnung zur Verletzungsgröße ermöglicht. Dabei muss stets eine Übersichts- und mindestens eine Detailaufnahme angefertigt werden. Lage, Größe, Färbung, Konfiguration sowie Besonderheiten der Verletzung sollten genau dokumentiert werden. Solange kein behördlicher Auftrag vorliegt, sollte das schriftliche Einverständnis zur Fotodokumentation bei der verletzten Person oder den Erziehungsberechtigten eingeholt werden. Um die fachgerechte Dokumentation zu erleichtern, stellt die Landeszahnärztekammer Wien mit freundlicher Genehmigung der Zahnärztekammer Nordrhein einen Dokumentationsbogen zur Verfügung. Dieser ist auf der Website der Landeszahnärztekammer downloadbar. Mit Hilfe beispielhafter Formulierungsvorschläge sowie Körper- und Zahnschemata werden die Untersucher für die zu erhebenden Details sensibilisiert, die für die spätere juristische Bewertung der Befunde von wesentlicher Bedeutung sein können. Zudem unterstützt auch die Toolbox der Gesundheit Österreich mit wertvollen Informationen und einer Liste von Anlaufstellen.

 

 

* Ausschließlich zum Zweck der leichteren Lesbarkeit wird auf diesem Blog das generische Maskulinum verwendet. Hiermit sprechen wir ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten ohne wertenden Unterschied an.

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Bild: shutterstock/Gorodenkoff
Bild: Dr. Christiane Stokreiter-Ebner und Dr. Noémi-Katalin Marković

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